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Glück im Unglück

Nina erlitt mit 27 einen Hirnschlag. Um zurück in den Alltag zu finden, brauchte es viel Arbeit. Heute gibt sie ihre Erfah­rungen bei peer.swissheart.ch an andere Betroffene weiter.

Nina war 27 Jahre alt, als sie in der Bretagne mit einer Freundin zeltete. Nach ein paar Tagen klemmte sie sich am Hals einen Nerv ein – dachte sie zumindest. Ihr wurde schwindlig, gleich darauf musste sie erbrechen. «Ich machte mir wenig Gedanken und fand, ich hätte einfach Pech. Erst falsch bewegt und nun auch noch etwas Falsches gegessen,» erzählt Nina heute zehn Jahre später bei einem Ingwer-Zitronen-Wasser in einem Zürcher-Café. Sie trägt lange blonde Haare, ist in schwarz gekleidet, ihr Blick ist offen und neugierig. «Ich hörte nicht mehr auf zu erbrechen, hatte sehr starke Kopfschmerzen und konnte beim Duschen das Gleich­gewicht nicht mehr halten. Ich führte dies auf den Flüssig­keits­verlust zurück», sie schüttelt den Kopf, «damals wäre ich niemals auf einen Hirnschlag gekommen. Ich dachte, so etwas erleiden meist nur alte Menschen.»

Ihre Freundin war besorgt und schlug ein Spital vor. Nina aber wollte heimfahren, sie machten sich zusammen auf die zehnstündige Rückreise. Ninas Zustand wurde immer schlechter. In der Schweiz fuhr sie direkt ins nächste Kantons­spital. Dort tippten die Ärztinnen und Ärzte zunächst auf eine Lebens­mit­tel­ver­giftung. Nach wenigen Stunden äusserte ein Oberarzt ein Bauch­gefühl und leitete eine neuro­lo­gische Abklärung in die Wege: «Ich hatte Glück im Unglück. Auf dem MRI sah man sofort, dass ich einen Hirnschlag erlitten habe». Nina durchlief alle Abklä­rungen: «Ich hatte dann einen zweiten kleinen Anfall, der Schwindel wurde nochmals stärker und ich hatte Gefühls­stö­rungen in den Händen.»

Zu einem Hirnschlag kommt es, wenn die Blutzufuhr in einem Bereich des Gehirns unter­brochen ist. Man nennt dies auch Schlag­anfall, Insult oder Apoplexie. In den meisten Fällen treten eines oder mehrere der folgenden Anzeichen auf: Lähmungen, Seh- oder Sprach­stö­rungen sowie Gefühls- oder Gleich­ge­wichts­stö­rungen. Der Hirnschlag ist die dritt­häu­figste Todes­ursache in der Schweiz und der häufigste Grund für eine Behin­derung. Eine rasche Behandlung hilft, Leben zu retten und Folge­schäden zu verhindern. In der Notaufnahme berichten Frauen neben obenge­nannten klassischen Zeichen nicht selten auch von unspe­zi­fi­scheren Symptomen wie genera­li­sierter Schwäche, Kopfschmerzen oder Desori­en­tierung und werden so mögli­cherweise erst verzögert als Schlag­anfall erkannt. Nina spricht auch deshalb über ihre Erfah­rungen, sie findet es wichtig, dass Fachpersonen besser aufgeklärt und Betroffene besser begleitet werden. Sie ist im Betrof­fe­nenrat und als «Peer» bei der Herzstiftung Schweiz tätig. 

Auf der Plattform peer.swissheart.ch können Betroffene oder Angehörige mit anderen, die ähnliches erlebt haben, Kontakt aufnehmen, eben zum Beispiel mit Nina. Auch die anderen Peers wissen, was es heisst, mit einer Herzer­krankung zu leben, vor einer Operation zu stehen oder nach einem Hirnschlag wieder zurück in den Alltag zu finden. Sie kennen die vielen Fragen, die sich stellen und geben Strategien weiter, um ein solches Erlebnis zu verar­beiten. Das Peer-Projekt wurde von der Herzstiftung gemeinsam mit Nina Bruderer als Expertin konzipiert und nun durch­geführt.

Nina erklärt, bei einem Hirnschlag müsste so schnell als möglich eine Behandlung erfolgen. Sie erhielt Schmerz­me­di­kamente und umgehend Therapien, die seien sehr wichtig, um das Hirn sofort wieder aufzubauen: Logopädie, Ergo- und Physio­therapie.

«Ich war die ersten Nächte im Schock. Vor den Ferien war ich eine gesunde Frau ohne Risiko­faktoren. Jetzt war ich in Lebens­gefahr», schildert Nina das Erlebte.

Nach einer Woche ging es für Nina knapp drei Monate in die Rehaklinik: «Das war harte Arbeit, ich nahm jeden Tag an unter­schiedliche Therapien teil. An meinem Bett war der Thera­pieplan befestigt, einerseits war es streng, aber es gab mir auch Struktur, das schätze ich.» Nina erholte sich zwar schnell, zu Beginn aber war sie sehr erschöpft. Einmal Haar waschen hiess für sie, im Anschluss zwei Stunden Schlaf brauchen. Heute spüre sie wenige Folgen. Sie habe nur noch ab und an Mühe mit der Feinmotorik oder spüre leichte Gleich­ge­wichts­stö­rungen, wenn sie müde ist. Sie habe gelernt mit den Ängsten umzugehen zum Beispiel vor einer Wieder­holung. Trauma­ti­sierend seien die Erlebnisse in der Reha gewesen: «Es gab dort Menschen, die sehr traurige Schicksale erlebten und es gab wenig Privat­sphäre. Auch war ich die einzige junge Frau in der Reha, ich fühlte mich oft sehr alleine.» Vier Jahre nach dem Hirnschlag machte ich eine Trauma­therapie, die half sehr.

Es gibt Risiko­faktoren für einen Hirnschlag, auf Nina traf keiner zu: Bluthochdruck, Diabetes, zu hohe Blutfettwerte, Rauchen, Herzer­kran­kungen (zum Beispiel Vorhof­flimmern), eine ungesunde Ernährung, zu geringe körperliche Aktivität, Übergewicht oder das Schlaf-Apnoe-Syndrom. Nina erzählt, was der Hirnschlag mit ihrer Sicht aufs Leben gemacht hat: «Ich verlor einerseits meine jugendliche Unbeschwertheit, andererseits wollte ich mir selbst beweisen, dass mein Leben noch nicht vorbei ist. «Jetzt erst recht» war mein Kredo. Ich begann nochmals ein Studium, was mich viel Kraft kostete.» Danach sei sie ruhiger geworden und sei sehr dankbar für ihr Umfeld, das mich immer unter­stützte.

Vor zwei Jahren wurde Nina Mutter: «Durch die Erfahrung im Spital und der Reha trat ich bestimmter auf, das war sicherlich ein Vorteil.» Die 39-jährige arbeitet heute ebenfalls im Gesund­heitswesen: Im Innovation & Startup Center eines Spitals. Vor gut zwei Jahren gründete sie zudem mit zwei weiteren Frauen «uma collective». Ihre Vision ist es, das Gesund­heits­system menschen­zen­trierter zu machen. Abgeleitet von «human» steht «uma» für den Menschen, der im Zentrum steht. «collective» steht für die enge Zusam­men­arbeit über Grenzen und Diszi­plinen. Nina trinkt ihren Tee aus und schaut auf die Uhr, sie muss bald ihren Sohn abholen: «Am wichtigsten finde ich, dass Menschen die Symptome für einen Hirnschlag kennen und wissen, wie man reagieren muss. Auch sollten sie über die Prävention informiert sein. Und sollte trotz allem wie bei mir ein Hirnschlag eintreten, ist das Erkennen und die sofortige Alarmierung des Rettungs­dienstes das aller­wich­tigste.

Das Acronym «BE-FAST» beschreibt die Zeichen, welche auf einen Hirnschlag hinweisen und das sofortige Handeln:

Balance: heftiger Schwindel mit Gehun­fä­higkeit 
Eyes: Sehstö­rungen, plötzliche Blindheit (oft nur auf einem Auge) oder Doppel­bilder 
Face: plötzliche Lähmungen im Gesicht (meist nur in einer Gesichts­hälfte) 
Arm: plötzliche Lähmung von Armen und Beinen (meist nur auf einer Körperseite) 
Speech: Sprach­stö­rungen oder Schwie­rig­keiten, Gespro­chenes zu verstehen 

Time: Reagieren Sie bei Verdacht auf einen Schlag­anfall sofort und alarmieren Sie den Notruf 144!

Quelle: PD Dr. med. Timo Kahles 
Leitender Arzt Neurologie
Co-Leiter Stroke Center

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